Zeitschrift für evangelische Bildungsarbeit
Inklusion wird bereits seit einiger Zeit in unterschiedlichen Bildungsbereichen, vor allem in der Schulpädagogik und in Bezug auf die frühe Bildung in Tageseinrichtungen für Kinder diskutiert.
Thematisiert wurde sie zuerst vor allem im Blick auf Förderpädagogik bzw. auf Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf: Welche Begründungen gibt es dafür, bestimmte Menschen in gesonderten Einrichtungen zu betreuen, zu erziehen und zu bilden? Und wer definiert mit welchem Recht und mit welchen Interessen solche Unterscheidungen und bestimmt, welcher Mensch wohin gehört?
Insbesondere am Schulsystem mit seinen vielfältigen Untergliederungen kann gezeigt werden, wie Entscheidungen darüber, welche Bildungseinrichtung besucht wird, lebenslang wirken – für die einzelnen Lebensläufe ebenso wie für die Aufgliederung der Gesellschaft in Interessengruppen, soziale Schichten und Milieus. Nicht zuletzt in den Kirchen spiegelt sich diese Sortierung wider.
Der bisherige Ansatz der Integration ist deshalb in die Kritik geraten. Denn Integration bedeutet, dass da jemand jemanden als anders Definierten in ein vorgegebenes System eingliedert. Das eingliedernde System muss sich nicht ändern, vom Eingegliederten wird oft stillschweigend oder ganz offen Anpassung erwartet. Ein gutes Beispiel dafür sind die klassischen Erwartungen an Menschen mit Migrationshintergrund, sich in den Wertekanon einer sogenannten Mehrheitsgesellschaft einzupassen. Inklusion geht stattdessen von einem Ko-Konstruktionsprozess aus. Zusammenleben unterschiedlicher Menschen wirkt sich auf jeden und jede in je individueller Weise und damit auch auf die umgebenden (sozialen) Systeme aus. Inklusion erfordert damit aber einen grundlegend anderen Zugang zu Menschen und sozialen Realitäten.
Inklusion ist inzwischen ein politisches Programm geworden. Das ist nicht nur eine gute Situation, denn es birgt die Gefahr in sich, dass politische Programmatik zu hohlen Schlagwörtern verkommt, ja die gute Absicht, wenn sie nicht inhaltlich gefüllt wird, schnell subversiv unterwandert wird durch die Beharrungen üblicher Praxisroutinen.
Und in der Tat hat auch der Inklusionsbegriff Problematiken, weil auch er schnell normativ überhöht wird und eine Floskel bleibt. In der Fachdebatte ist deshalb der Begriff der Unterschiedlichkeit (›Diversity‹) eigentlich tauglicher. Die angenommene und jeweils individuell und sozial gedeutete Wirklichkeit ist nicht einheitlich, einfarbig, eintönig, generell …, sondern bunt, unterschiedlich, je eigen, individuell, situativ, konkret. Und die Bedingungen für Praxisvollzüge sind komplex, anstatt monokausal zu erklären und direktiv zu lenken. Unterschiedlichkeit braucht Wahrnehmung, Deutung und Gestaltung (›Diversity-Management‹).
Unser Titelbild weist darauf hin: Ab dem Moment, da die Wirklichkeit nicht mehr unter der Einheitsbrille gesehen wird, zeigt sich auch die eigene Wirklichkeit (in diesem Fall der eigene Fußabdruck) bunt, vielfältig, komplex … Das hat tiefgreifende Konsequenzen auch für die evangelische Kirche, nicht zuletzt im Blick auf die in Mode gekommene Suche nach »dem evangelischen Profil«. Es kann – inklusiv gedacht – nicht darin bestehen, ein Einheitsbild zu entwerfen, sondern nur darin, Unterschiedlichkeit zu gestalten und zugleich nach Gemeinsamem zu fragen und zu suchen.
Die Beiträge in dieser Ausgabe zeigen solche Dimensionen: Sie beschreiten Wege durch die Praxis und Theorie und stellen fest, dass vielleicht gerade das Bewusstwerden der Vielfalt neue Perspektiven eröffnet, anstatt dass sie vorrangig als Gefahr und Bedrohung gesehen wird. Dass dabei einige Gewissheiten und Vorannahmen zur Disposition stehen, zeigen unter anderem Einblicke in die Auseinandersetzung um biblische Grundlagen oder die Fragen nach künftigen Berufsprofilen und Anstellungsbedingungen.
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