Melanie Mordhorst-Mayer
Im orthodoxen Judentum treffen speziell ausgebildete Rabbiner medizinethische Entscheidungen in Form von Responsen (halachischen Rechtsgutachten). Richtungsweisend sind bis heute die beiden Rabbiner Moshe Feinstein (USA, 1895–1986) und Eliezer Waldenberg (Israel, 1915–2006). In der vorliegenden Studie werden ihre zentralen Responsen zum Schwangerschaftskonflikt weltweit erstmalig vollständig übersetzt, kommentiert und mit den wissenschaftlichen Standards europäischer Geisteswissenschaften analysiert. Obwohl sich beide Rabbiner auf dieselben halachischen Quellen beziehen, setzt sich Feinstein für einen strikten Lebensschutz ab der Befruchtung ein, während Waldenberg im Einzelfall eine Abtreibung bis zum siebten Monat erlaubt. Der Fokus der vorliegenden Studie liegt auf den unterschiedlichen impliziten Annahmen und expliziten Auslegungen der beiden Rabbiner. Die Entscheidungsgrundlagen ihrer konträren Positionen werden im Detail aufgezeigt.
Die Studie stellt mit ihren kommentierten Übersetzungen einen Meilenstein in der wissenschaftlichen Responsenforschung dar und ist durch ihre differenzierte und anschauliche Darstellung jüdisch-orthodoxer Entscheidungsfindung zugleich Ausgangspunkt für einen Vergleich mit anderen religiösen oder philosophischen medizinethischen Entwürfen.
[Medicoethical Decision-making in Orthodox Judaism. Translations and Analyses of Responsa to Pregnancy Conflicts]
In Orthodox Judaism special trained rabbis make medicoethical decisions in form of responsa (halakhic legal opinions). Leading figures in this field until today are the rabbis Moshe Feinstein (USA, 1895–1986) and Eliezer Waldenberg (Israel, 1915–2006). Although both rabbis are referring to the same halakhic sources, Feinstein is supporting a strict protection of life from conception onwards while Waldenberg is allowing an abortion in individual cases up to the seventh month. The focus of the present study is on the different implicit assumptions and explicit interpretations of both rabbis. The basics of decision-making of their contrary positions are shown in detail.
The study with its annotated translations marks a milestone in the scientific research on responsa. Because of its differentiated and clear presentation of decision-making in Orthodox Judaism it is at the same time a starting point for a comparison with other medicoethical concepts.
Zur Autorin
Melanie Mordhorst-Mayer, Jahrgang 1977, studierte Evangelische Theologie in Marburg und Heidelberg sowie im Rahmen des Programms Studium in Israel Neuhebräisch, jüdische Schriftauslegung und Textkritik an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Nach dem ersten theologischen Examen gab ein eineinhalbjähriger Forschungsaufenthalt am Schlesinger Institute for Medical-Halachic Research und an der Hebräischen Universität in Jerusalem wesentliche Impulse zu der vorliegenden Arbeit. Mit ihr wurde die Autorin 2011 im Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg promoviert. Das Vikariat führte Melanie Mordhorst-Mayer ins ostfriesische Flachsmeer. Seit dem zweiten theologischen Examen arbeitet sie im Haus kirchlicher Dienste der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers im Arbeitsfeld Kirche und Judentum.