Zeitschrift für evangelische Bildungsarbeit
Das Thema Fremd Zuhause hat gegenwärtig in globaler Dimension höchste gesellschaftliche Brisanz angenommen: In Strömen verlassen Menschen ihr unerträglich gewordenes Zuhause. In Strömen zieht es Menschen in – im Vergleich zu ihrem Herkunftsalltag – äußerlich unfassbar reiche und intakte Gesellschaften. Sämtliche Beteiligte sehen sich vor völlig neue Herausforderungen gestellt: die Herkunftsländer wie die Zufluchtsländer, deren Gesellschaften und politischen Systeme und vor allem die Menschen, die aus ihrer fremd und unwirtlich gewordenen Heimat in eine neue ungewisse Fremde wandern. Sicher geglaubte Gewissheiten wie das Europäische Haus, die entwickelten demokratischen Gesellschaften, Friedensordnungen, Menschenrechte … beginnen sich aufzulösen.
Dabei ist das gar nicht neu. Allein in der jüngeren Geschichte der zurückliegenden 200 Jahre gab es unzählige Wanderungsbewegungen, ohne die es keinen FC Schalke 04 oder keine um die Jahrhundertwende aufstrebenden Industrieregionen um Bitterfeld oder im Ruhrgebiet gegeben hätte und auch kein Wirtschaftswunder in Westdeutschland seit den 1950er Jahren.
»Man muss nur unter die Menschen gehen, um Fremde unter Fremden zu treffen.« – Mit diesen Worten beschreibt Karl Valentin das Lebensgefühl, das für viele daraus resultiert: Fremd Sein im Eigenen; überall Fremde, wo Menschen sind … Aber: Wo und wer bin ich mit all dem Fremden in mir und um mich und durch mich und wohin soll das führen?
Mittendrin immer wir als evangelische Kirche. Oder mitunter auch außen vor? Auch fremd oder Fremdkörper? ›Fremde Heimat‹ für viele? Laut Bibel haben wir als Christinnen und Christen ›hier‹ kein bleibendes Zuhause. Zugleich strebt die Kirche danach, den Menschen in der Gemeinde eine (fremde) Heimat zu bieten. Und wir kirchliche Akteure fremdeln immer wieder selbst – ganz unabhängig von den neuen Fremden unter uns – mit uns selbst, den Menschen um uns, der Kirche, dem Gottesdienst, den Strukturen, den offiziellen Vertretern und auch mitunter mit den Inhalten Glaube, Liebe, Hoffnung, Gott …?
Diese Spannungen sind in der gemeindepädagogischen Praxis Tag für Tag zu erleben, auszuhandeln und zu gestalten – in der eigenen Person, in der Arbeit mit den anvertrauten Menschen, in der pädagogischen und gottesdienstlichen Praxis, in der gesellschaftlichen und kirchlichen Wirklichkeit.
Wir haben Autorinnen und Autoren gewonnen, die aus sehr unterschiedlichen Perspektiven praktische und theoretische Impulse zum Thema geben. Die Vielfalt des Themas ist größer, als manche aktuell praktische Fragestellung zunächst vermuten lässt. Das Thema ist vor allem nicht wirklich neu, nur immer wieder neu aktuell. Möge diese Ausgabe dazu beitragen, sich der eigenen Perspektiven zu vergewissern oder diese gar neu zu bedenken und andere Perspektiven sowie Praxisideen für einen gemeindepädagogischen Umgang mit dem Fremden unter Fremdem zu erschließen.